Begleiter in schwierigen Zeiten

Im Leben begegnet einem so manches – Gutes wie Schweres. Die schweren Zeiten, Schicksalsschläge oder Erlebnisse können in eine Krise führen. Dann kann es sehr hilfreich sein, Begleitung in Anspruch zu nehmen. Einer, der seit Jahren den Menschen in Krisen zur Seite steht, ist der Seelsorger Thomas Jenelten.


Sie begleiten seit vielen Jahren Menschen in Krisen. Was macht Ihrem Verständnis nach eine persönliche Krise aus? Oder anders, was ist überhaupt eine Krise?

Ganz kurz zusammengefasst würde ich sagen: Wenn Herausforderungen auf einen Menschen zukommen, die die momentanen Fähigkeiten und Ressourcen übersteigen. Es geht also auch um eine Art Balance.
Das kann subjektiv verschieden sein. Es gibt Situationen, in der Menschen bereits sehr angespannt sind, dann braucht es nur noch etwas Kleines, ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Daneben gibt es Krisen, die zum Beispiel von der Diagnose einer schweren oder tödlichen Krankheit ausgelöst werden. Auf solche Situationen, glaube ich, ist niemand einfach so vorbereitet.


Können Sie ein bisschen erzählen, wie eine Krisenbegleitung aussieht?

In manchen Fällen geht eine Krisenbegleitung über Monate oder sogar Jahre. Dann sind für mich Stichworte wie dranbleiben, Verbindlichkeit und Treue in der seelsorglichen Begleitung wichtig. Als Bild kann man sich den Handlauf vorstellen. Die Menschen gehen weiter durch ihr Leben und ich als Seelsorger bin in der Begleitung so eine Art Handlauf. An dem kann man sich festhalten, wenn eine Stütze nötig ist. Inhaltlich können das regelmässige Gespräche oder WhatsApp-Nachrichten sein, die sagen: «Hallo, ich bin da, ich denke an Sie.» Natürlich sind auch Rituale wie zum Beispiel Abschiedsrituale oder das gemeinsame Unterwegssein in der Natur möglich. Doch zentral ist mir die Treue und Verbindlichkeit. Der Mensch in der Krise muss spüren, da ist einer, der etwas aushält. Er wird, auch wenn es noch schwieriger wird, nicht abhauen. Er ist parat, mit mir durch diese Zeit zu gehen.


Verschiedenste Fachpersonen bieten Krisenbegleitung an. Welchen besonderen Beitrag kann die Seelsorge in diesem Bereich leisten?

Wir Seelsorger und Seelsorgerinnen haben die Möglichkeit, sehr pragmatisch zu arbeiten. Im Gesundheitsbereich ist ja meist ein Stundentakt vorgegeben. Mein Setting ist freier und offener. Ich kann auch mal mit jemanden auf den Weissenstein gehen oder eine WhatsApp-Nachricht schreiben. Ich kann sehr kurzfristig auf etwas reagieren. Ausserdem kommt der Bereich der Rituale dazu. Das ist mitunter wirklich eine Hilfe. Zum Beispiel, wenn ein todkranker Polizist mit mir Kontakt aufnimmt, um Unterstützung bittet und fragt, ob ich auch seine Abdankung halte. Das gibt ganz neue Gespräche und eine andere Ernsthaftigkeit. So hat man als Seelsorgerin oder Seelsorger ein sehr breites Spektrum an Methoden.


Gibt es einen Moment, ab dem man sagen kann, jetzt ist die Krise überwunden?

Da sind wir wieder bei der Balance. Wenn Betroffene merken, ich habe genügend Kraft, Ideen und Fähigkeiten, meinen Weg ohne den Handlauf zu gehen, dann braucht es keine Begleitung mehr. Das zeigt sich immer sehr klar in den Gesprächen. Das ist der richtige Zeitpunkt, um die Begleitung zu beenden. Manche Menschen brauchen noch etwas Sicherheit. Ihnen hilft es, wenn sie bei Bedarf wieder einen Termin vereinbaren können.


Wann ist es sinnvoll, sich eine Begleitung zu suchen?

Früh genug. Es gibt ja Situationen, in denen es keine Frage mehr ist, da spüren die Menschen: «Jetzt ist es so schwierig und ich bin so schwer belastet, ich brauche Hilfe.» Daneben gibt es Lebensumstände, in denen Menschen merken, dass sie aus ihrem Gedankenkarussell nicht mehr aussteigen können, es im Gegenteil immer enger wird. Dann ist es gut, sich Begleitung zu suchen, bevor es zur Eskalation kommt. Wichtig ist dabei zu bedenken, dass jemand, der Unterstützung und Begleitung sucht, nicht krank ist. Es geht darum, sich jemandem anzuvertrauen, mit dem man sortieren kann und der hilft, den Blick zu weiten. In solchen Situationen wird Begleitung häufig für zwei bis drei Treffen benötigt. Sich Hilfe zu holen, ist keine Schwäche, sondern eine Form von Stärke.


Sie haben viel mit dem Schweren im Leben zu tun. Was sind die Momente, die sie an ihrer Arbeit besonders schätzen?

Es berührt mich, wenn Menschen sich öffnen und mir Vertrauen schenken. Das gibt eine gegenseitige Dankbarkeit. Aber auch Situationen, in denen sich für den Klienten oder die Klientin ein Weg öffnet, sind besondere Momente. Natürlich tun mir auch positive Rückmeldungen, die ein bis zwei Jahre nach der Begleitung kommen, gut. Doch ich will es nicht in Abrede stellen: Es ist auch eine belastende Arbeit.


Thomas Jenelten arbeitet seit vielen Jahren im Bereich der Krisenbegleitung. Derzeit ist er als Polizeiseelsorger, Seelsorger im Alterszentrum und als Schriftsteller publizistisch tätig.