«Flirtende stellen die besten Fragen»

Mit zielführenden Fragen lassen sich Kontakte knüpfen, Beziehungen pflegen, Informationen gewinnen, aber auch gute Entscheidungen bewirken, weiss Kommunikationsexpertin Irène Wüest. Sie ist selbstständige Kommunikations- und Organisationsberaterin, coacht Führungskräfte und Teams und doziert an der Höheren Fachschule für Wirtschaft in Luzern über Kommunikation. Irène Wüest kennt sich aus mit der Frage, was für die menschliche Kommunikation wichtig ist. Sie empfiehlt: Fragt mehr – und fragt vor allem bewusst. Die Fachfrau weiss, über welche Wirkkraft Fragen verfügen und welchen Anteil sie an einem ertragreichen und zielführenden Gespräch haben.


Frau Wüest, es gibt den bekannten Ausspruch «Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten.» Wie stehen Sie dazu?

Ich bin zwiegespalten, die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Fragen können vieles bewirken, im positiven wie auch im negativen Sinne. Wenn ich mir vorher nicht überlege, welche Antwort ich suche – Antworten, die mir oder meinem Gegenüber etwas nützen – kann sich das Gespräch in eine falsche Richtung entwickeln. Oft sagen wir etwas, bevor wir denken, was problematisch sein kann. Es lohnt, sich für die eigenen Fragen genügend Zeit zu nehmen und diese ausreichend zu reflektieren. Denn nur wer gute Fragen stellt, kann etwas bewirken oder bekommt befriedigende Antworten. In diesem Sinne: Ja, es gibt nicht zielführende, ungünstige und unpassende Fragen; – solche etwa, die andere Menschen verletzen, blossstellen oder vor den Kopf stossen.


Gute Fragen, so meinen Sie, sind durchdachte Fragen, die eine bestimmte Wirkung erzielen sollen: Was zeichnet eine gute Frage sonst noch aus?

Gute Fragen regen zum Nachdenken und Staunen an und führen die befragte Person zu neuen Erkenntnissen. Wie wichtig es ist, die eigenen Fragen gut vorzubereiten, stelle ich immer wieder bei meiner Arbeit fest. Ich überlege mir jeweils vorab: Wie steige ich in die Gruppenarbeit ein? Wie sieht die Frage aus, mit welcher ich das Vertrauen der Menschen gewinnen, ihnen nahekommen kann? Fragen sollen verleiten, in die Tiefe zu kommen und den Menschen besser kennenzulernen. Mit guten, gezielten Fragen blicken wir hinter die Fassade, sie können der Schlüssel zum Menschen sein. Bei schlechten, d. h. verletzenden, brüskierenden, stossenden Fragen erreichen wir das Gegenteil – der Gesprächspartner verschliesst sich.


Wie setzen Sie Fragen bei Ihrer Arbeit, der Begleitung von Menschen, ein?

Bei meiner Coachingtätigkeit arbeite ich oft mit Fragen. Diese stelle ich jeweils so, dass der Klient das Gefühl hat, er komme selbst auf die Lösung. Mittels Fragen führe ich die Person an ihre je eigenen Antworten heran. Ziel ist, dass wir mit gezielten, prozessorientierten Fragen vorwärtsgehen und sie ihre Aufmerksamkeit auf die Lösung richten kann. Aber das gelingt nur, wenn durch meine Fragen die Potenziale und Kompetenzen meines Gegenübers für die Problemlösung aktiviert werden können. Es lohnt also, sich vorab mit Fragen auseinanderzusetzen – auch wenn das Zeit braucht.


Im erlebten Alltag dominieren Meinungen und Statements, Fragen sind eher die Ausnahme. Was fehlt uns im Umgang miteinander, wenn die Fragen ausbleiben?

Das Interesse für den Mitmenschen und das Verständnis füreinander würden verloren gehen. Kommunikation bedeutet: verstehen und verstanden werden – nicht behaupten und Standpunkte aufzeigen. Wer das tut, bewegt sich an der Oberfläche. Wenn man nur Positionen klären und festhalten, aber nicht sehen möchte, was hinter einer Meinung steht, entstehen Konflikte. Fragen sind wichtig, um das Gegenüber zu verstehen: Wie kommst du darauf? Welches Bedürfnis steckt hinter dem, was du mir gerade berichtest? Haben solche Fragen im Gespräch Platz, entsteht eine Tiefe, fängt das Verständnis an. Der Klassiker im Konflikt ist, dass man nicht klärt, was das eigentliche Bedürfnis ist. Folglich kommuniziert man aneinander vorbei. Man muss das Gegenüber verstehen können, um einen Konflikt zu klären. Das schafft Nähe, gegenseitiges Verständnis – und das ist das Ziel.


Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass eine neugierige, fragende Grundhaltung dem Gesprächspartner gegenüber besteht.

Genau, und dieses Interesse ist leider oft nicht mehr gegeben – obwohl wir Menschen grundsätzlich sehr neugierige und wissensdurstige Wesen sind. Ich bin der Ansicht, dass dieser Umstand unserem Stress und der Schnelllebigkeit geschuldet ist: Wir stehen unter Druck und nehmen uns nicht mehr wirklich Zeit für andere Menschen. Aber miteinander in ein tiefes Gespräch zu kommen, braucht nun mal Zeit.


Ist dann aber ein aufrichtiges Interesse am Gegenüber da, entwickelt das Gespräch eine besondere Dynamik. Was geht da – aus psychologischer Perspektive betrachtet – vor?

Zeigt jemand aufrichtiges Interesse an mir, spüre ich das sofort. Dann fühle ich mich gesehen und wertgeschätzt – und das tut Menschen gut. Jemandem seine Aufmerksamkeit und Zeit zu schenken ist eine Form von Liebe. Fragen schaffen Nähe und Vertrauen und helfen damit, eine Distanz zu überbrücken.


Wenn ich an einer ehrlichen und offenen Antwort interessiert bin, muss auch meine Frage entsprechend gestellt sein. Wie kann eine solche denn aussehen?

Das hat nicht nur mit der Frageformulierung zu tun, sondern auch mit der Person, die Fragen stellt. Wie spreche ich, in welcher Tonalität? Halte ich Blickkontakt? Bringe ich meinem Gegenüber Wohlwollen entgegen? Die nonverbale Kommunikation und Rahmenbedingungen tragen viel zum Gelingen des Gesprächs bei.

Am besten glückt dies Menschen, die schäkern: Flirtende und frisch Verliebte sind die besten Fragesteller. Sie sind zugewandt, fragen mit einer Neugier und Offenheit, sodass man bereit ist, viel von sich zu zeigen. Sie sind wie Schwämme, nehmen alles auf, wollen alles erfahren, ergründen, erforschen. Wir sollten viel öfters im Flirt-Modus unterwegs sein!


Im Sommer ist man viel unterwegs und trifft spontan Menschen. Haben Sie einen Tipp, wie man im Urlaub mit Einheimischen ins Gespräch kommt?

Wichtig ist, den Schlüssel zu diesen Menschen zu finden: Das erreiche ich, wenn ich wohlwollend auf sie zugehen. Wenn ich zeige, dass ich mich für ihre Kultur interessiere, dass ich sie, im besten Sinne des Wortes, anerkenne und wertschätze. Habe ich diese Einstellung, spüren das die Menschen – und sind dann gerne bereit, etwas von sich zu teilen.

 

Interview: Rebekka Felder